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Aktionen, Projekte und Publikationen

 

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Exodus 1989

Im Juni 1989 fand in Berlin der 23. Evangelische Kirchentag unter dem Motto "Unsere Zeit in Gottes Händen" statt. In ganz Berlin - Ost und West - war schon eine sonderbare Atmosphäre zu spüren. Ich traf mich während des Kirchentages konspirativ mit einem Freund aus Wismar in Ost-Berlin auf dem Alex. Wir gingen zum Brandenburger Tor und sprachen voller Sehnsucht davon, einmal im Leben dort durchgehen zu wollen. Aber wir dachten, das wird uns wohl nicht mehr vergönnt sein, aber vielleicht unseren Enkeln, denn auch das römische Imperium bestand bekanntlich nicht mehr. Hätte uns jemand gesagt, dass wir nur fünf Monate später gemeinsam durch das Tor gehen würden - wir hätten ihn ausgelacht...

Dennoch hatte ich die Vision, dass es irgendwie passieren könnte. Kaum wieder daheim war ich wie besessen von dem Gedanken, dass das Volk der DDR einmal durch die geborstene Mauer gehen würde, wie einst das Volk Israel durch das Rote Meer. Deshalb musste ich eine Collage erstellen, in der genau dies geschieht. Ich machte Fotokopien von Postkarten der Mauer und des Brandenburger Tors, den Oberammergauer Passionsspielen und der Geschichte des Exodus aus einem Bibelcomic. Die Teile fügte ich zusammen und hatte das Gefühl, dass jetzt alles stimmen würde.

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Wie gesagt, kaum fünf Monate später passierte genau das, was ich bildhaft erschaffen hatte. Sehr unheimlich. Seitdem passe ich gut auf, was ich als Kunst kreiere, denn es könnte ja wahr werden...

Und am 9. November 1989?
Zu der Zeit befand ich mich an der niederländischen Grenze in der Diakonausbildung. Als ich am Abend des 9. Novembers im Fernsehen das Geschehen verfolgte, bin ich sofort auf mein Fahrrad gesprungen und zu meiner Ausbildungsleiterin gerast, um mich beurlauben zu lassen. Ich klingelte bei ihr und als sie die Tür öffnete, sagte sie in tiefstem rheinischen Dialekt: „Röber, was machen Sie denn noch hier? Hau’n se ab man, ab nach Hause!“ Gesagt, getan. So kam es, dass ich am 12. November die Grenzöffnung an "meinem" Grenzabschnitt bei Mustin miterleben konnte.

Udo Reichle-Röber
9. November 2019