R O E P O R T E R

Aktionen, Projekte und Publikationen


 

 

Aktionen, Projekte und Publikationen


Abenteuer Albanien

Land zwischen Potential und Plastikmüll

Asyl in Deutschland

Im Sommer des vergangenen Jahres muss eine albanische Familie aus meiner Nachbarschaft in ihr Heimatland zurückkehren, nachdem ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Die vorgebrachten Gründe für den Asylantrag waren persönlich nachvollziehbar, für ein Bleiberecht im Sinne des Asylrechts jedoch irrelevant. Das ist besonders bedauerlich, da sich diese Familie sehr schnell und sehr intensiv um Integration in unsere Gesellschaft bemüht hat und dabei überaus erfolgreich war.

Ich kenne die alleinerziehende Mutter, ihre Kinder und deren Onkel persönlich schon länger und habe sie darüber hinaus im vergangenen Jahr auch beruflich im Rahmen der Flüchtlings-Sozialarbeit betreut. Bei meinem Besuch in Albanien will ich sehen, wie es ihnen als Rückkehrer in ihrem Heimatland ergeht. Sie arrangieren sich und machen das Beste aus ihrer derzeitigen Situation. Aber sie haben Heimweh nach ihren deutschen Freunden, Mitschülern, Kollegen und Nachbarn.

Der Grund ihrer Flucht liegt in einer archaischen Auslegung des Kanun, dem mündlich überlieferten Gewohnheitsrecht der Albaner und der für sie daraus resultierenden Gefahr durch Blutrache. Aus diesem Grund werde ich weder Bilder von ihnen zeigen, noch Namen oder Orte konkret benennen.

Mirë se vini në Shqipëri

Das Wiedersehen

Der Höhepunkt unserer Reise ist das große Familientreffen bei der Großmutter. Alle Angehörigen sind gekommen, ein opulentes Mahl wird unter den Obstbäumen des kleinen Gehöftes aufgetischt. Nach dem Essen messen sich Alt und Jung im Zielschießen mit der Zwille. Der Achtjährige gewinnt… Die Großmutter, wettergegerbt in traditioneller langer, schwarzer Tracht überrascht uns, als irgendwo ein Handy klingelt und sie es blitzschnell aus ihrem Umhang zieht und mit ihrer Nichte telefoniert. Die Großmutter bewirtschaftet das kleine Anwesen mit Viehhaltung und Ackerbau trotz ihres Alters weitgehend selbstständig.

Das ursprüngliches Zuhause meiner Freunde ist nur über schmale Pfade im mittelalbanischen Bergland erreichbar. Es ist eine kleine Alm auf dem Rücken einer landwirtschaftlich genutzten Anhöhe. Die Kinder waren vor ihrer Flucht nach Deutschland täglich über eine Stunde unterwegs, um zu der im Tal liegenden Dorfschule zu gelangen. Dabei mussten sie Bäche überspringen und Schluchten auf schmalen Behelfsbrücken überwinden.

Ich besuche die kleine Bergsiedlung, werde von meinem albanischen Freund jedoch im vorgelagerten Dorf abgesetzt, da es für ihn nicht ratsam ist weiter mitzukommen. In der Siedlung werden wir neugierig betrachtet und freundlich von den Einwohnern begrüßt. Als unbeteiligte Ausländer erfahren wir die landestypische Gastfreundschaft.

Auf dem Weg zum verbotenen Dorf

Natur und Landschaft

Mit unseren Freunden bereise ich das Land von den albanischen Alpen im Norden bis zu den palmenbestandenen Gestaden im Süden. So klein Albanien ist, sind doch sämtliche europäische Klima- und Vegetationszonen im Land vorhanden. Aus dem „Nordkorea“ Europas entwickelt sich ein Land mit viel Potential und voller Naturwunder.

Unsere erste Station ist der Koman-Stausee, eine Mischung aus Geirangerfjord und Halong-Bucht. Nach mehrstündiger Bootsfahrt erreichen wir unser erstes Domizil. Ein kleines Gehöft am Ufer des Komansees. Bevor das Tal vom Stausee geflutet wurde, war die Einsiedelei eine Hochalm.

Einsiedelei am Koman-Stausee, nur per Boot erreichbar

Die Reise geht weiter in das Hochland der Albanischen Alpen. Im schönen Tal von Valbona genießen wir die noch fast unberührte Bergwelt. Hier sehen wir auch die ersten der überall im Land verstreuten kleinen kuppelförmigen Bunker aus der Zeit des Hoxha-Regimes.

Aber auch in der schönsten Landschaft, in jedem Bachlauf, jedem Flussbett – ja sogar in den Ästen der Bäume, die an den Ufern stehen ist endlos viel Plastikmüll zu sehen. An den Berghängen, in kleinen Senken und zwischen Felsen: Überall Unrat und Plastikmüll! Hohe Arbeitslosigkeit und fehlender Umweltschutz – ich hätte der albanischen Regierung einen Vorschlag zu machen…

Traumhafte Aussichten in Albanien

Soziale Situation

Während ein Teil der albanischen Bevölkerung bitterarm ist und sich keine medizinische Versorgung leisten kann, profitiert ein anderer Teil von den modernen Errungenschaften seit Öffnung der Grenzen. In Albanien sind viele Autos der gehobenen Mittelklasse und der Oberklasse auf den Straßen zu sehen. Kleinwagen gibt es nur wenige. Die soziale Schere ist hier offensichtlich. Auf Fotos von kranken Menschen, die im Müll nach Verwertbarem suchen oder Kindern, die an Ampelkreuzungen Zigaretten verkaufen, habe ich bewusst verzichtet.

In den ländlichen Gebieten sind viele Menschen Selbstversorger, was u.a. auch am Mangel an Wildtieren zu erkennen ist. Selbst in abgelegenen Gebieten und wilder Natur sind weder Wild noch Vögel zu sehen. In den abgelegenen Dörfern bleiben häufig nur die älteren und einfachen Menschen zurück. Die jungen und gebildeten Menschen gehen in die großen Städte oder in die Länder der Europäischen Union, wo sie sich mehr Chancen für ihre Zukunft erhoffen. Ein gutes Viertel der Einwohner Albaniens soll sich außer Landes befinden.

Ein ständiger Begleiter – der Müll in der Landschaft

Infrastruktur

Die Straßen in Albanien werden von allen Verkehrsteilnehmern gemeinsam genutzt. Fußgänger auf der Autobahn (werden nicht im Radio durchgegeben), Kühe auf den Landstraße, Schafherden auf dem Mittelstreifen in den Städten. Überhaupt ist vieles in Albanien kreativer, unkomplizierter und auf Eigenverantwortlichkeit vertrauend. Keine Absperrungen in alten Festungen oder an Abhängen, keine unnötige überversorgende Regularien.

Kühe, Schafe und Ziegen sind normale Verkehrsteilnehmer, zuweilen auch ohne menschliche Begleitung

Religion

Albanien ist ein Vorbild für den Frieden und die Zusammenarbeit der Religionen in Europa – und der Welt. Es gibt knapp 60% Muslime, 20% katholische und orthodoxe Christen und 20% konfessionslose Einwohner. Albaner gehen gemeinsam durch die Stadt. Der Muezzin ruft von dem einen Turm, die Glocken läuten kurz darauf von dem benachbarten Turm. Der eine geht zum Gebet in die Moschee, sein Nachbar nebenan in die Kirche. Nach den Gottesdiensten treffen sich beide auf dem Markt oder im Cafe.

Mein Freund erzählt, dass in seinem Dorf kaum jemand weiß, welche Religion der jeweilige Nachbar habe – weil es schlichtweg egal ist. Muslime und Christen heiraten untereinander ohne jegliche Vorbehalte der Familien. Das ist eine der goldenen Seite Albaniens – möge sie erhalten bleiben!

Kirche und Moschee als gute Nachbarn

Gesellschaft

Die Albaner begegnen Fremden stets freundlich und aufgeschlossen. Selbst bei Polizeikontrollen werde ich ohne weitere Fragen mit einem freundlichen Lächeln weitergewunken, wenn ich mich mit meinen rudimentären Sprachkenntnissen als ausländischer Gast zu erkennen gebe.  Anhaltern die wir mitnehmen, müssen unsere albanischen Freunde ausführlich erzählen, wie sie in den Genuss kommen, deutsche Freunde und Gäste zu haben. Neidlos werden unsere Freunde dafür bewundert.

Aufsehen erregt auch der Besuch unserer jugendlichen Reiseteilnehmer in der Schule in Tirana. Die beiden älteren Mädchen haben sich für ein paar Tage vom Unterricht befreien lassen und dafür versprochen ihre deutschen Gäste mit in die Schule zu bringen. Lehrer und Schüler sind sehr gespannt, was die Besucher über das Leben als Schüler in Deutschland zu berichten haben.

Ein Manko ist die Stellung der Frau in der albanischen Gesellschaft. Frauen, insbesondere allein erziehende, sind nach wie vor nicht wirklich gleichberechtigt. Das Miteinander der Geschlechter leidet nach wie vor unter den Einschränkungen einer patriarchalischen Gesellschaftsstruktur.

Meine albanischen Gesprächspartner berichten häufig darüber, wie unzufrieden sie mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes sind. Beispielsweise herrsche nach Aussagen vieler Albaner, vom Banker bis zum Hirten noch zu viel Korruption im Alltag. Das überrascht mich, zumal ich deutliche Fortschritte in Politik und Wirtschaft sehe. Ich kann nur hoffen, dass Albanien bald Mitglied in der EU sein wird.

Faleminderit dhe mirupafshim Albania!